Montag, 23. März 2015

Was bedeutet "gutes Brot"?


Ist Ihnen auch schon eine der neuesten Lidl-Anzeigen begegnet und so sauer aufgestoßen wie uns? Slow Food Deutschland kritisiert diese neue Werbeoffensive, die von vielen als "Vernebelung des Qualitätsbegriffs" und Angriff gegen gutes Handwerk empfunden wird - und von Lidl wohl auch so gemeint ist.

Einer unserer Partner im SlowFood-Convivium Harz, Mario Warneke von der Brötchen-Schmiede Astfeld, ist Bäckermeister aus tiefster Überzeugung. Er liebt sein Handwerk und weiß, was wahre Qualität bedeutet. Die aktuelle Lidl-Kampagne hat ihn motiviert, uns eine wahre Geschichte - seine Geschichte - zu erzählen:
Liebe Leserinnen und Leser,
heute Morgen beim Lesen unserer Tageszeitung fragt mich Lidl in seiner ganzseitigen Werbeanzeige: "Woran erkennt man eigentlich gutes Brot?" Die Antworten des Discounters machten mich zunächst sprachlos. Aber mit Sprachlosigkeit erreicht man ja nichts. Also erzähle ich Ihnen lieber eine Geschichte. Und diese sehr persönliche Geschichte ist zugleich meine Antwort auf die Frage.
Anfang der 80er Jahre begann ich mit meiner Ausbildung zum Bäcker im elterlichen Betrieb. Mein Opa, damals schon von schwerer Krankheit gezeichnet, wollte es sich nicht nehmen lassen, mich als seinen letzten Lehrling auszubilden.
Als 15-Jähriger begann mein Tag also fortan sehr früh am Morgen in der Backstube. Ich freute mich riesig auf meinen ersten Tag als Bäcker. In meinen Gedanken sah ich mich schon Teige kneten, Plunder formen und so manches süße Teilchen verzieren. Doch das musste warten. Es gab zunächst Wichtigeres.
Kaum in der Backstube angekommen, sagte mein Opa zu mir: "So Junge, nun sag mir mal, was denkst du, was bedeutet 'gutes Brot'?" Ich antwortete eigentlich genau wie die Lidl-Werbung: "Naja, gute Zutaten, gutes Aussehen und vor allem natürlich Frische." Opa musterte mich schweigend und mit bedeutsamer Miene. Ich ahnte, dass es ihm um viel mehr ging als um das, was ich spontan geantwortet hatte. So ernst wie an diesem Morgen hatte ihn noch nie erlebt.
"Nein," sagte er, "gutes Brot bedeutet zuallererst Demut des Bäckers vor der Natur."
Dieser Satz, sein beinahe feierlicher Blick und die Tatsache, dass er mich nun zum Fegen und Blecheputzen schickte, machte mir den ganzen Morgen über ein schlechtes Gewissen. Am meisten aber beunruhigte mich, dass ich gar nicht so recht begriffen hatte, was er meinte.
So ging mein erster Arbeitstag als Bäckerlehrling vorüber. Eigentlich wollte ich nun - völlig
geschafft und müde vom frühen Aufstehen - einfach nur ins Bett. Da klopfte es an meiner Zimmertür. Mein Opa und mein Vater standen im Türrahmen und sagten: "Komm Junge, zieh die Jacke über. Wir müssen dir was zeigen." So als Halbstarker dachte ich damals: 'Oh, Mist, was kommt jetzt noch? Noch mehr Bleche putzen oder Äpfel schälen? Aber dafür so ein feierlicher Auftritt? Nein das konnte es nicht sein. Aber was dann?'
Die nun folgende Lektion, die mir diese beiden erfahrenen und überzeugten Bäckermeister an meinem allerersten Ausbildungstag erteilten, wurde die wichtigste und bedeutsamste Lektion für mein gesamtes Bäckerleben - damals wie heute und für die Zukunft.
Die beiden führten mich ins Mühlenfeld - es war Ende Juli und der Winterroggen stand kurz vor der Ernte. Es roch herrlich - so herrlich, dass ich mich fragte, warum mir das vorher noch nie so deutlich aufgefallen war. Herr Schuppe, Landwirt und Eigentümer des Roggenfelds, gesellte sich zu uns und drückte mir ein paar reife Ähren in die Hand. Ich sollte Sie mir genau ansehen, daran riechen und den Geschmack der Körnchen ergründen. Dieser große kantige Mann strich mit seinen Händen beinahe zärtlich über das Korn. Ich war sehr beeindruckt. Es war ihm wichtig, mir zu erzählen, dass er sich nur als Werkzeug betrachtete und es in Gottes Hand lag, wie die Ernte ausfiel.
Unser Ausflug führte mich weiter Richtung Langelsheim, wo Erich Sack schon auf mich wartete. Herr Sack (welcher Name könnte wohl passender sein?) war der Müller, den ich schon von Kindesbeinen an kannte. Aber auch er wirkte heute viel ernster auf mich als ich es von ihm gewohnt war. Er weihte mich ein in die Arbeit des Müllers - eine Arbeit, über die ich mir bisher nicht viel Gedanken gemacht hatte, die ich nun aber mit ganz anderen Augen betrachtete. Auch hier sollte ich wieder riechen und schmecken. Nie zuvor war mir aufgefallen, dass Roggen eigentlich köstlich nach Nuss schmeckt. Und nie zuvor war mir bewusst, wieviel Arbeit dahinter steckte, bis die Roggenkörner schließlich als Frühstücksbrot auf meinem Tisch landen konnten.
An diesem Tag lernte ich, dass es etwas ganz Besonderes ist, mit den Gaben der Natur arbeiten zu dürfen. Und ich freute mich nun noch mehr auf meine Ausbildung. Die Demut des Bäckers vor der Natur habe ich mir bis heute bewahrt. 
Und nun kommen Sie, liebe Leute von Lidl, und wollen uns weismachen, Sie wüssten, was ein gutes Brot ist? Gutes Brot ist eine Gabe der Natur, in gutem Brot stecken viel Handarbeit und Leidenschaft. Gutes Brot ist etwas wert. So etwas verkauft man nicht zum Schleuderpreis!
In Ihrer Anzeige behaupten Sie, man erkenne gutes Brot am Aussehen, z.B. an der gleichmäßigen Farbe. Darüber musste ich herzhaft lachen. Keine Ähre gleicht der anderen. Warum also sollte dann jedes Brot gleich aussehen? Ein Brot hat Charakter, es hat Risse und Falten, es muss durch die Hände eines Bäckers gegangen sein. Ja, auch unser Brot sieht gut aus - aber jedes Brot sieht auf seine eigene Weise gut aus. Gleichförmigkeit hingegen ist ein Merkmal von industriell hergestellten Produkten.
Für Ihre billigen Industriebrote lassen Sie von den Müllern aus aller Welt Emulgatoren und andere Zusatzstoffe ins Mehl mischen. Denn, liebe Leser und Leserinnen, laut Gesetz muss nur das deklariert werden, was der Bäcker dazusetzt - nicht aber das, was andere schon vorher untergemixt haben. Und warum macht die Brotindustrie das? Ganz einfach, der Teig muss sich den Maschinen unterordnen, darf diese nicht verkleben und muss sich rundherum industrietauglich verhalten.
Gute Bäcker gibt es glücklicherweise noch viele in Deutschland. Wer wissen möchte, ob "sein" Bäcker gutes Brot backt, sollte einmal  nachfragen, ob das Brot mit der Hand oder per Maschine aufgemacht wird.
Lassen Sie sich nichts vormachen von "Spezialisten" wie z.B. Lidl. "Backfrisch" heißt nicht "frisch"! Was Lidl unter Frische versteht, schreiben sie selbst in ihrer Anzeige: "Noch in der Produktionslinie werden die Backwaren daher auf mindestens -18 Grad tiefgefrostet ... Tiefgekühlt wird die Ware dann über das Logistikzentrum an die Filialen verteilt. In den Filialen werden die Backwaren mehrmals täglich frisch gebacken." Aha. Da wird das Brot vom Discounter oder Großbäcker quer durch Deutschland (die Welt?) kutschiert, kann Monate alt sein und darf sich "backfrisch" nennen - Hauptsache, frisch aufgebacken.
Mittlerweile haben ja viele Unternehmen gemerkt, dass die Menschen sich auf echte Qualität und gute Handarbeit besinnen. Nur: Wenn unsere Oma uns zum Familienessen ihren hausgemachten Eintopf verspricht, den wir schon seit Kindertagen lieben, und uns stattdessen einen Eintopf aus der Dose serviert - dann kann da dreimal "wie hausgemacht" draufstehen. Er ist es nicht und er schmeckt auch nicht so. Sonst könnte er ja auch nicht so billig sein. "Wie hausgemacht" heißt nicht hausgemacht und "backfrisch" heißt nicht frisch.
Lidl erkennt gutes Brot auch an den Zutaten - angeblich sei nur das drin, "was in ein gutes Brot gehört". In unser Brot (vergleichbar mit dem Lidl-Ciabatta) kommt Weizenmehl und -grieß, Wasser, Meersalz, Olivenöl und Hefe. Mehr nicht. Garantiert. Alles andere kommt vom Können, von unsrer Leidenschaft für gutes Brot und von unserer Liebe zum Kunden.
Bis zum heutigen Tag - und ich bin nun schon seit über 30 Jahren Bäcker (davon 25 Jahre Bäckermeister) - denke und halte ich mich an die Ratschläge meines Großvaters: "Schütze und erhalte die Natur, Sie ist ein Geschenk Gottes."
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein frohes Osterfest! Lassen Sie sich von dem Bäcker Ihres Vertrauens verwöhnen.
Mario Warneke und Familie
Bäckermeister

4 Kommentare:

  1. habe mich auch bereits über die LIDL Werbung/Verar... geärgert.
    Aber da hilft nur Aufklärung..Aufklärung..und nochmal Aufklärung!
    Dorothee Kemper

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  2. Herr Warneke spricht mir aus der Seele! HANDwerk heißt es nicht umsonst. Ich backe mein Btot fast immer selbst und muss mit meinen Händen FÜHLEN, ob der Teig noch Wasser oder Mehl braucht. Eine fast schon meditative Arbeit, die kein Automat für mich erledigen soll und darf. Abgepacktes und/oder "frisch gebackenes" Lidl Brot hat für mich leinen (Nähr-)Wert. Die Werbekampagne von Lidl halte ich für eine Unverschämtheit; sorgt die doch für weitere Volksverdummung.

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    1. Herzlichen Dank für den Kommentar! Genauso sehe ich das auch! Aber vielleicht ist genau das auch die Schwierigkeit: Wie können Menschen Sinn für Genuss entwickeln und handwerkliches Tun wertschätzen, wenn sie selbst gar nicht mehr wissen, wie man ein Brot herstellt? Oder schlimmer noch - gar nicht auf die Idee kommen, dass man Brot auch selber backen kann?

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  3. Danke für ihre Worte . Brot ist lebendig und der Bäcker nur der Geburtshelfer. Gruß Mario Warneke Brötchen Schmiede Astfeld

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